Meinung: Häuserkampf und die subversive Kraft der "Superblocks" als Instrument der Verkehrswende von unten

Jens Hurling

Wenn wir uns auf eine kritische Expedition in die moderne Stadtlandschaft begeben, sehen wir ein Zusammenleben, das durch den übermäßigen motorisierten Individualverkehr bestimmt ist. Die Straßen der Stadt sind übersät mit Autos, die selbst in den Quartieren den Raum und die Ruhe rauben - also in unseren erweiterten Gemeinschaftsflächen, unserem erweiteren "Zuhause". Die vollmotorisierte Stadt erweist sich als ein zerstörerisches Symptom der fordistischen und später neoliberalen Stadtplanung. Sie monopolisiert den öffentlichen Raum und erstickt die kollektive Freiheit im Smog des falsch gelebten Individualismus: Das Auto als ausschließende und raumgreifende "Freiheit" für sich selbst. Wie gehen wir als Linke damit um?

Die automobilgeprägte Stadt, als Relikt der industriellen Vergangenheit, ist klimaschädlich, gesundheitsschädlich und zunehmend ungeeignet für die zukünftige Stadtentwicklung. Die anhaltende Dominanz des motorisierten Individualverkehrs verstärkt nicht nur die Klimakrise, sondern trägt auch zur sozialen Entfremdung bei, indem sie das städtische Leben in isolierte Kapseln der Mobilität zwingt.

Wir wissen: Die städtische Revolution beginnt (nicht nur, aber vor allem) auf Quartiersebene. Indem wir das Quartier als zentrales Handlungsfeld der Stadtentwicklung und der Verkehrswende betrachten, können wir beginnen, die Stadt von unten nach oben, vom Kleinen zum Großen zu transformieren.

 

Wir müssen das Dogma der Autobahnen und Parkplätze mit erlebbaren(!) Gegenentwürfen konfrontieren: Superblocks sind ein Beispiel dafür

Der Kernpunkt dieser Gegenentwürfe in einer Großstadt: eine transformative Neudefinition des öffentlichen Raums. Dabei muss es nicht immer eine Martinistraße sein, die zum Live-Labor wird. Superblocks und Diagonalsperren, als völlig unterschätzte stadt- und verkehrsplanerische Instrumente, werden zum Werkzeug einer subversiven Revolution, indem sie Quartiere von der asphyxierenden Umklammerung des Automobilverkehrs befreien.

Diagonalsperren sind eine Technik der Verkehrsberuhigung, die das Durchfahren von Fahrzeugen durch Wohngebiete erschwert oder unmöglich macht. Durch das Anbringen physischer Barrieren oder das Ändern der Straßenführung wird der Verkehr auf die Hauptstraßen geleitet, während in den Wohnstraßen der Durchgangsverkehr minimiert wird. Dies schafft sicherere und ruhigere Straßen für Anwohner und fördert den Fuß- und Radverkehr, die eine Diagonalsperre weiterhin durchfahren und durchlaufen können. Es wird also nur und ausschließlich Autoverkehr "ausgesperrt".

 

Die Straßen den Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zurückgeben

Derartige "modale Filter", wie Diagonalsperren in der Fachsprache heißen, stellen über die Berücksichtigung der Anwohnenden ein emanzipatorisches Potenzial dar, indem sie die dominanten Strukturen des Automobilverkehrs auf Quartiersebene in Frage stellen. Superblocks mit Diagonalsperren bieten eine radikale Neuinterpretation des öffentlichen Raums, die als Arena, als Begegnungsfläche oder kollektives Labor der Nachbarschaft und des Zusammenkommens konstruiert wird. Indem sie die konventionellen Wege des Autoverkehrs blockieren, den Verkehr wieder auf Hauptverkehrsstraßen leiten und "Schleichverkehr" durch die Wohnquartiere ausschließen, eröffnen sie neue Möglichkeiten für alternative Mobilitätsformen und förderliche Begegnungen, die das Gesicht der Stadt radikal verändern könnten.

Superblocks verkörpern diesen Häuserkampf auf eine transformative Weise, weil sie das Quartier als Handlungsspielraum betonen. Sie machen Transformation erlebbar. Superblocks, auch "Kiezblocks" genannt, bilden Räume, in denen Bürgerinnen und Bürger frei von der Bedrohung durch motorisierten Verkehr interagieren können. Letztlich "empowern" sie Nachbarschaften. Sie bieten Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten und bilden ein neuartiges Terrain für kollektive Aktionen. Diese Raumkonzepte haben das Potenzial, die gesellschaftlichen Bedingungen im städtischen Umfeld neu zu gestalten und den Grundstein für eine nachhaltige und kollektive Stadtentwicklung zu legen.

 

Stück für Stück, Quartier für Quartier, können wir die automobile Stadt in eine Stadt des Zusammenlebens, der Gemeinschaft und der nachhaltigen Mobilität umwandeln.

In diesem Kontext wird der "Häuserkampf" zu einer Metapher für den Kampf um den städtischen Raum, der von der Unterwerfung unter die automobile Logik befreit und zu einem Ort des Zusammenlebens, der Kooperation und der nachhaltigen Entwicklung umgestaltet wird. Durch die Kraft der Diagonalsperren und Superblocks können wir die automobilgeprägte Stadt überwinden und einen neuen Raum für Gemeinschaft und kollektive Solidarität, Erlebnisse, Freizeit und Kiezkultur schaffen.

 

- von Jens Hurling, 3. Mai 2023

 

Exkurs als kurze Erklärung: Was sind Superblocks?

Superblocks und Diagonalsperren sind fortschrittliche stadtplanerische Konzepte, die darauf abzielen, die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs in städtischen Gebieten zu reduzieren und Raum für alternative Verkehrsformen und Gemeinschaftsräume zu schaffen.

Ein Superblock ist ein stadtplanerisches Konzept, das aus einer Gruppe von Straßenblöcken besteht, die durch eine Umgehungsstraße begrenzt sind, auf der der gesamte Fahrzeugverkehr konzentriert ist. Innerhalb des Superblocks wird der Fahrzeugverkehr stark eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen, wodurch mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und öffentliche Freiräume geschaffen wird. Diese Konzepte haben ihre Wurzeln in der Stadtplanung von Barcelona, sind aber inzwischen weltweit verbreitet.